Kirche am Ende?
Zukunft: Die Kirche steckt in der Krise und schrumpft dramatisch. Wenn Bewährtes nicht mehr funktioniert, nützen Durchhalteparolen wenig. Wohl aber Gottvertrauen.Auf der Palliativstation geben alle ihr Bestes. Es bringt nichts, Ärzten Vorwürfe zu machen, dem Management oder der Politik da oben. Wenn Organe nicht tun, was sie sollen, eines vielleicht für das andere noch ein wenig einspringt, dann ist Zeit, Schmerzen zu lindern und den Nachlass zu klären. Kein Zweck zu sagen: Hier oder da liegt der Fehler! Dieser oder jener Schnitt brächte das Leben zurück.
So liegen die Dinge auf der Palliativstation Gottes. Da muss man beginnen, seinen Frieden zu machen. Mit der Kirchenleitung, die mit Finanzen jongliert und bittere Pillen verabreichen muss. Sie braucht unser Gebet! Frieden mit diesem oder jenem Dienst, der frischer, moderner oder frömmer laufen sollte. Schuldzuweisungen, das wäre Populismus am Sterbebett. Aber auch Frieden machen mit der Welt da draußen, die ungerecht wenig Anteil nimmt und sich innerlich unbewegt einfach weiterzubewegen scheint, pfeifend durch den schönen Frühlingstag, ohne einem ersten Beweger zu glauben.
Der Zorn muss weichen. Hinter dem Frust schlägt ein weinendes Herz. Da wohnt unsere Trauer. Die ist der Ort, wo wir ehrlich werden. Das Zeichen dafür ist das Kreuz: Gott hält inne. Er handelt nicht im Zorn. Die Henker bleiben am Leben. Es dürfen weitermachen, die nicht wussten, was sie taten. Die bösen Weingärtner werden eben doch nicht gerichtet. Denn Gott findet hinter seinem Zorn die eigene enttäuschte Liebe wieder. Zorn wird zu Reue, wird zu Liebe (Hosea 11, Vers 8). Für Gott spiegelt sich das Gesicht seines Sohnes im Leben der Mörder.
Auf eine solche Versöhnung käme es an angesichts enttäuschter Erwartungen und zerstörter Hoffnungen. Wie froh sind wir einst aufgebrochen! Wir haben gesungen und gefeiert. Manchmal waren wir Spinner: Mit mir geht die Kirche los! Verdammt noch eins, was haben wir geglaubt. Und dann saß eines Tages der Küster im Büro und sagte: der Familienrat habe beschlossen, dass sie die Zeit am Sonntagvormittag lieber anders nutzen sollten. Bei den paar, die noch kämen, hätte es wenig Sinn. Dann sprach eine Pfarrerin: »Früher wollte ich nicht Gebäude bauen, sondern Gemeinde. Aber mittlerweile denke ich: Wenn wir nicht mehr sind, werden die Steine schreien. Darum renoviere ich jetzt Kirchen.« Jährlich predigst du über die wachsende Saat und blickst auf ein Arbeitsleben zurück, in dem alles weniger wurde – außer die Verwaltung.
Bitte verzichtet auf Durchhalteparolen à la »Kirche wird es immer geben.« Hört auf, Kirchgebäude zu pflegen in der Hoffnung, dass spätere Generationen Gottesdienst auf eine Weise feiern wollen, wie er uns selbst nicht mehr gefällt – das ist ungefähr die Haltung, mit der Opa im Schuppen die Büromöbel aus seiner alten Firma aufbewahrt.
Sich versöhnen heißt für mich, Hoffnung zu suchen über Widerstände und Abbrüche hinweg: Ich liebe Paul Gerhardt, die Kinder mögen Marc-Uwe Kling. Der Himmel wird sein, wenn wir Tränen lachen über die Entdeckerfreuden des anderen. Wir lassen uns unsere Schätze sehen und beglücken einander. Was uns auf Erden als öde, alte Lyrik galt respektive als pseudosubversiver Salonbolschewistenhumor, daraus wird in unserem Lachen und Singen ewiges Lob Gottes. Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.
Ostern beginnt mit Entsetzen: Wir finden Gott nicht, wo wir ihn begraben haben. Rituale funktionieren nicht wie gedacht. Der Weg zum Grab ist nicht heilsam; der beabsichtigte Liebesdienst findet kein Ziel. Die Botschaft des Engels versetzt in Panik. Doch Gott hat längst gehandelt. Im Verborgenen hat er Jesus auferweckt, neu geschaffen, als verbesserte und endgültige Version des Menschen, der ihm vorschwebt. Versöhnung vollendet. Nur dass vor der Begegnung steht: »Er ist nicht hier.« (Markus 16, Vers 6)
Dass er nicht zu finden ist in den Grüften und Grabmälern, die wir ihm gebaut haben, sondern dass der Lebendige weiterzieht – liegt nicht darin der Keim einer neuen, frohen Botschaft? Er wird sich sehen lassen. Woanders. Doch sollte er uns nicht neu in den Dienst rufen aus dem Bestehenden hinaus?
Der Autor ist neuer theologischer Vorstand des Diakonischen Werks Innere Mission Leipzig.
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