»Wir geben von den Kanzeln keine Wahlempfehlungen«
Sächsische Kirchenleitung will Analyse der Parteiprogramme vorlegenZu keinem anderen Fest sind die Kirchen so voll wie zu Weihnachten. Für Sachsens evangelischen Landesbischof Carsten Rentzing wächst daraus eine besondere Verantwortung. Der Evangelische Pressedienst (epd) sprach mit ihm über Reformen, freie Schulen, die Ereignisse in Chemnitz und die Landtagswahl.
epd: Bischof Rentzing, zu Weihnachten rücken Christen traditionell in den Fokus. Worin sehen sie die Rolle der Kirche in dieser Zeit?
Rentzing: Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, dass die Botschaft des Weihnachtsfestes offenkundig eine ist, mit der wir vielen Menschen sehr nahe kommen. Ich glaube, dass hier die Kirche ganz eng an den Sehnsüchten der Menschen dran ist. Es gibt bei aller Hetze, Unruhe der Tage und aller Ablenkung eben auch diesen Zeitraum der ruhigen Tage nach Weihnachten. Ruhiger geht es nicht in Deutschland als zwischen Weihnachten und Neujahr. Da kommen dann auch Fragen danach, was wesentlich ist im Leben. Und in solchen Fragen haben wir als christliche Kirche den Menschen nach wie vor viel zu sagen - auch denen, die gar nicht zur Kirche gehören. Die Sehnsucht danach ist groß und daher auch das Interesse an den Gottesdiensten. Weihnachten schlägt sogar - was die Besucher betrifft - noch Ostern, das höchste christliche Fest.
epd: Das neue Haushaltsvolumen der sächsischen Landeskirche ist weiter gewachsen. Dennoch muss in den nächsten Jahren laut Finanzexperten wegen sinkender Steuereinnahmen gespart werden. Ist die sächsische Landeskirche für die Zukunft gut aufgestellt?
Rentzing: Wir wollen so vorbereitet sein, dass die Verkündigung des Evangeliums auch in finanziell schwierigeren Zeiten möglich bleibt. Und zwar so, dass tatsächlich alle Menschen mit der biblischen Botschaft berührt werden können und zugleich die Pfarrerinnen und Pfarrer diese Arbeit fröhlich tun können. Dafür müssen wir uns als Kirche neu aufstellen.
epd: Wie weit haben die Gemeinden in den Regionen den Prozess der Neustrukturierung schon vorangebracht?
Rentzing: Der Prozess ist ziemlich weit gediehen. Zusammenschlüsse und Gemeindebünde konnten schon gebildet werden. Bis Mitte 2019 sollen Strukturen neu geplant und Vorschläge formuliert werden. Da wird an der einen oder anderen Stelle auch noch Überzeugungsarbeit geleistet werden müssen. Bei meinen vielen Reisen durchs Land erlebe ich an vielen Orten aber eine große Offenheit und Weite.
epd: Auch die Diakonie ist von den drastischen Einsparungen betroffen. Bis 2030 sollen beim Diakonischen Amt eine Million Euro wegfallen. Kirche wird oft zuerst über soziale Arbeit wahrgenommen. Ist die Kürzung dann das richtige Signal in die Gesellschaft?
Rentzing: In der Tat ist die Diakonie eine unserer Perlen. Wir sind als Landeskirche zu einem umfänglichen Sparprogramm verpflichtet. Besagte Million wird aber nicht an den sozialen Einrichtungen gespart. Es ist eine Kürzung für das Diakonische Amt, das am Ende eine Verwaltungseinrichtung ist. Dort müssen wir sparen.
epd: Angenommen die Fachberatung des Amtes würde geschmälert. Was bedeutet das dann für die Werke in den Regionen?
Rentzing: Die Diakonie befindet sich - anders als die Kirche selbst - in einem Wachstumsprozess. Eine Einrichtung, die wächst, muss mehr Eigenverantwortung übernehmen. Die Kürzung beruht auf Absprachen, sie kommt nicht überraschend.
epd: Das Land Sachsen hat ein umfangreiches Reformpaket gegen den Lehrermangel beschlossen. Lehrerinnen und Lehrer an staatlichen Schulen können damit verbeamtet werden - sofern sie unter 42 Jahre alt sind. Müssen freie evangelische Schulen um ihre Pädagogen bangen?
Rentzing: Man macht sich Sorgen, obwohl es bisher keine massiven Abwanderungen gegeben hat. Das liegt sicher auch daran, dass Lehrerinnen und Lehrer sich die evangelischen Schulen mit besonderer Zielrichtung ausgesucht haben. Da spielen finanzielle Erwägungen eine untergeordnete Rolle. Finanzen sind nicht alles, es geht auch um Arbeitsbedingungen und den pädagogischer Ansatz. In der Tat ist es sehr, sehr lukrativ, in den staatlichen Bereich zu wechseln. Auf der anderen Seite ist die Landesregierung verpflichtet, die freien Schulträger auszustatten. Das heißt, man wird dort auch erheblich nachlegen müssen. Dafür gibt es auch Signale, doch die Ergebnisse stehen noch aus. Es wird Erhöhungen der staatlichen Zuwendungen für die freien Schulen geben müssen, damit diese vergleichbare Angebote für Lehrer machen können. Nachteile darf es laut Verfassung für die freien Schulen nicht geben.
epd: Sachsen wählt 2019 einen neuen Landtag. Die umstrittene AfD landete bei der Bundestagswahl in Sachsen vor der CDU. Welche Botschaft wollen Sie als Kirche vor diesem Hintergrund aussenden?
Rentzing: Wir leben in einem Land mit Wahlrecht und Wahlfreiheit. Niemand hat das Recht jemandem vorzuschreiben, was er zu wählen hat oder eben nicht. Das gilt ins besonderer Weise auch für uns als Kirche. Bezogen auf die AfD und auch auf alle anderen Parteien ist es so, dass wir an die Verantwortlichen in der Politik Fragen haben und auch Erwartungen. Wir erwarten, dass sowohl Wählerinnen und Wähler als auch die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker zu einer menschenwürdigen Gesellschaft beitragen. Bezogen auf die AfD haben wir die eine oder andere Nachfrage. Aber das gilt gleichermaßen für alle.
epd: Die AfD könnte als demokratisch gewählte Partei zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes werden. Was sagen Sie dazu?
Rentzing: Wir haben möglicherweise dem einen gegenüber mehr Fragen als dem anderen gegenüber. Aber das kann nur im Konkreten sichtbar werden. Wir müssen auch abwarten, welche politischen Gesichter auftreten, was gefordert wird und in welcher Art und Weise dies geschieht. Das sind Dinge, die wir aufmerksam beobachten. Im Februar 2019 voraussichtlich werden wir als Kirchenleitung eine Analyse der politischen Wahlprogramme aller Parteien vorlegen - versehen mit unseren christlichen Vorstellungen und Haltungen. Daran wird man sein Gewissen schärfen und überlegen können, welchen Weg man bereit ist zu unterstützen und welchen nicht.
epd: Das heißt, Sie geben den Wählern ein Werkzeug in die Hand, um die Entscheidung zu erleichtern?
Rentzing: Wir können den Einzelnen aus der Verantwortung nicht entlassen - das ist unsere evangelische Sicht auf die Dinge. Wir geben von den Kanzeln unserer Kirchen keine Wahlempfehlungen. Wir weisen aber auf die Werte und Haltung hin, die uns als Christen auszeichnet und die wir repräsentiert sehen wollen in der Politik.
epd: Im Spätsommer überrollte Chemnitz ungewollt die bundesweite Aufmerksamkeit. Die Stadt war in der Schockstarre. Wie haben Sie die Ereignisse in Chemnitz wahrgenommen und wie ist es jetzt?
Rentzing: Es ist jetzt die Phase, wo es notwendig ist, dass die Stadt sich erst mal selber wieder sammelt, die Lage analysiert und überlegt, wie sieht es jetzt im Augenblick aus? Es sind in Chemnitz viele zivilgesellschaftliche Gruppen gemeinsam unterwegs, darunter die Kirchen. Diese Arbeit wird weiterlaufen. Es gibt den Willen, diese Stadt voranzubringen. Insofern begegnet mir in Chemnitz keine gedrückte Stimmung, aber ein Stück Unmut über die Art und Weise, wie mit dieser Stadt von vielen Beteiligten umgegangen wurde. Das hat in der Tat für viel Ärger gesorgt. Weil das, was wir erlebt haben, nur zum Teil auf die Stadt zurückgeführt werden kann. Diese Stadt ist praktisch zum Austragungsort für schlimme Bilder geworden.
epd: Die Kirchen haben nach den Ausschreitungen zu einer Kundgebung für Frieden und Toleranz aufgerufen. Sie waren als Redner auch dabei. Wie wichtig sind solche Zeichen in die Gesellschaft?
Rentzing: Ich habe sofort meine Teilnahme zugesagt aus dem einfachen Grund, weil wir als Kirchen etwas zu diesen Dingen zu sagen haben und dort auch gebraucht wurden. Wir haben versucht, zügig zu reagieren, aber einige Tage gebraucht, zu überlegen, was von unserer Seite nötig ist. Das hat dazu beigetragen, dass wir einerseits in großer Besonnenheit, andererseits aber auch mit großer Klarheit agiert haben. Nach der Veranstaltung kamen Polizisten zu mir, die sagten: Das war mal was ganz Anderes, das, was wir brauchen. Wir waren als Kirche nicht hineingerissen in die politische Auseinandersetzung und Schlagabtausche. Sondern wir haben eine Demonstration mit ganz eigenem Charakter veranstaltet - sehr versöhnlich, sehr nachdenklich, aber eben auch mit sehr klaren Botschaften. Das ist das Beste, was wir zu geben haben. Für mich war das eine Sternstunde unserer kirchlichen Aktivitäten.
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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