Paul schreibt: 04. Juni 2015, 8:28
Lieber Paul,
ich habe den Abschnitt aus den Brüders Karamasow gestern gelesen. Was für ein Buch! Da habe ich nicht wenig Lust bekommen, es wieder zur Hand zu nehmen. Das Leben ist halt zu kurz, um schlechte Bücher zu lesen - oder der guten gibt es zu viele (ich empfinde diesen Umstand der davoneilenden und immer kürzer bemessenen Zeit im Angesicht der verbleibenden Möglichkeiten mit zunehmendem Alter immer deutlicher). Allerdings kann ich mich noch gut daran erinnern, dass ich vor vielen Jahren nicht ganz unstolz war, diesen Wälzer geschafft zu haben. Wobei nicht sportlicher Ehrgeiz die Triebkraft war, sondern der Genuss eines Buches und das Erstaunen darüber, dass ein Mensch zu solch schöpferischen Werken fähig ist.
Aber zum Inhalt: Nachvollziehhbar ist der Zweifel, die Verzweiflung oder Auflehnung gegen Gott im Angesicht des Grauens auf dieser Welt schon. Aber gerade bei den dostojewkischen Themen und Helden weicht dieser Zweifel sehr schnell dem Entsetzen darüber, was sich schnell als Alternative präsentiert: die menschliche Selbstbestimmung. Hat er z.B. in Schuld und Sühne oder den Dämonen doch sehr klar beschrieben, in welche Abgründe es führt, wenn Menschen sich zum Beglücker der Menschheit (oder des eigenen Lebens) aufschwingen. Dostojewski hat als Antwort darauf den leidensfähigen und -willigen Menschen (als quasi DEN russischen Typen) beschrieben.
Ähnlich hält es sich vielleicht mit Rossel Jakover: "Ich halte an dir fest, Gott - dir zum Trotz!"
Ich bin wirklich der ehrlichen Überzeugung, dass wir es im Angesicht des Leids auf dieser Welt mit Erklärungsversuchen nur noch schlimmer machen. Wir haben KEINE Antwort (wie auch Hiob keine bekommen hat). Was sagt Jesus zu den zwei Gruppen im Völkergericht? Ihr habt/habt nicht - mitgelitten und geholfen. Und da Leid immer individuell empfunden wird, hilft auch eine Abstufungsskala nicht wirklich. Aber natürlich (und da sind wir wieder bei der Ausgangsfrage) kann ich meine kleinen persönlichen Bitten im Angesicht des immensen Leids dieser Welt etwas in Relation bringen. Im Wissen, dass Gott schon weiß und zur Hilfe bereit ist, BEVOR wir unseren Mund aufmachen.
Herzliche Grüße
Ihr Christoph
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