Kredit für die Welt
Den Armen der Welt Geld leihen: Das tun Christen und Kirchgemeinden über eine ökumenische Genossenschaft. Der Landeskirche aber ist das zu riskant.Bei einem Sack Weizen für Afrika ist Ludwig Grafe skeptisch. »Lieber ein Werkzeug, Hilfe zur Selbsthilfe«, sagt der gelernte Gärtner aus dem Oberlausitzer Dorf Gröditz. Dafür legt er einen Teil seines Ersparten in der christlichen Kreditgenossenschaft Oikocredit an. Profitziel: Nächstenliebe.
Die mexikanische Bäuerin Rosalia konnte sich so 500 Euro leihen und kaufte neues Saatgut. Philippinische Kleinbauern bezahlen mit einem Oikocredit-Darlehen ihre ersten Maschinen, ugandische Landwirte bauen Staudämme gegen lange Dürrezeiten. Das ist es, wofür Ludwig Grafe und 858 andere Menschen und Kirchgemeinden aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ihr Geld anlegen. Eine Milliarde Euro hat die in den Niederlanden ansässige Genossenschaft 2015 verliehen.
»Es hat etwas mit Buße zu tun, mit Jesu Ruf zu Umkehr«, sagte zum Auftakt der Versammlung des mitteldeutschen Oikocredit-Förderkreises der gastgebende Pfarrer in Dresden-Loschwitz, Markus Deckert, selbst seit 15 Jahren Mitglied. »Nicht erst dann, wenn Flüchtlingsströme bis vor unsere eigene Haustüre kommen, sondern viel eher haben entwurzelte Menschen in ihren Vater- und Mutterländern ein Recht auf Frieden und Gerechtigkeit.« Deshalb wurde Oikocredit 1975 vom Ökumenischen Rat der Kirchen gegründet. Damit die Reichen teilen.
Die Sache hat auch mit Geld zu tun. Zwei Prozent Dividende erhalten die Anleger – in Zeiten von Sparbuchzinsen knapp über Null verlockend. 1,8 Millionen Euro konnte der mitteldeutsche Oikocredit-Förderkreis deshalb im vergangenen Jahr neu einsammeln. Die Kreditnehmer in den armen Ländern bezahlen um die 24 Prozent Zinsen pro Jahr. »Ich werde mich nie daran gewöhnen«, beklagte eine christliche Anlegerin bei der Dresdner Mitgliederversammlung.
Kritiker sagen: Mikro-Kredite könnten Arme in die Schuldenfalle treiben. »Wir brauchen diese hohen Zinsen, denn die Betreuung und Beratung dieser vielen kleinen Kredite in ländlichen Gebieten ist sehr teuer«, antwortete die von den Philippinen stammende Oikocredit-Direktorin Ging Ledesma in Dresden. In vielen Ländern seien viel höhere Zinsen der Normalfall. Die Managerin stellte ein Prüfsystem vor, um Überschuldung zu vermeiden und wirklich den Ärmsten und Benachteiligten zu helfen.
Gutes Gewissen plus guten Gewinn – klingt nach einem guten Angebot. Doch als vor einem Jahr sächsische Kirchgemeinden sehr viel Geld in die Genossenschaft investieren wollten, zog das Dresdner Landeskirchenamt – zwar selbst mit eher symbolischen 50 000 Euro beteiligt, doch viel skeptischer als andere Landeskirchen – eine rote Linie: Eine Oikocredit-Beteiligung sei »als Geldanlage für Kirchgemeinden grundsätzlich nicht geeignet« und in die »höchste Risikostufe« einzuordnen, da das Vermögen nicht wie bei deutschen Banken von einem Fonds gesichert ist, hieß es in einem internen Rundschreiben. Nur gründlich geprüfte Ausnahmen seien möglich.
»Es ist klar, dass es Risikokapital ist«, erwidert Oikocredit-Direktorin Ging Ledesma. »Bei fünf Prozent der Darlehen ist die Rückzahlung verspätet, aber in 100 Prozent der Fälle konnten diese Zahlungsausfälle bisher durch Rücklagen kompensiert werden.«
Sächsische Oikocredit-Mitglieder wollen sich jetzt mit einer Eingabe an die Landessynode wenden, um Kirchgemeinden Anlagen bei der Genossenschaft weiterhin zu ermöglichen. Für einige geht es dabei um Grundsätzliches: Um Jesu Gleichnis vom reichen Kornbauern etwa, der auf Sicherheit baute – und alles verlor. Um Gottvertrauen. Gerechtigkeit. Michael Klatt aber, Finanzdezernent der Landeskirche und zuvor sechs Jahre lang in Afrika tätig, ist skeptisch gegenüber allzu hohen Heilserwartungen via Geld: »Mikrofinanz ist kein Allheilmittel.«
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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