Glauben im Corona-Advent
Glaube vermitteln: Viele Kinder bewältigen die Corona-Zeit sehr gelassen. Doch die Glaubensvermittlung muss neue Wege finden. Die Familien sind stärker gefragt. Ein Gespräch darüber, was Kinder heute von Erwachsenen und Erwachsene von Kindern lernen können.Derzeit sind auch die Kinder von zahlreichen Corona-Einschränkungen betroffen. Vieles läuft anders und eingeschränkter. Wie ist Ihre Wahrnehmung: Belastet das die Kinder sehr stark?
Birte Platow: Aus der Beobachtung unserer Kinder, die fünf, sechs und neun Jahre alt sind, sowie der Kinder der Nachbarschaft kann ich sagen: Es ist ganz erstaunlich, wie langmütig und selbstverständlich die Kinder die derzeitigen Einschränkungen hinnehmen. Sie haben die bewundernswerte Fähigkeit, die Einschnitte und Unterbrechungen des Normalen einfach als gegeben hinzunehmen. Ich kann mich nur an ganz wenige Momente erinnern, etwa bei Kindergeburtstagen, wo es mal Protest gab oder ein Hinterfragen.
Georg Langenhorst: Das kann ich aus meiner Beobachtung der schulischen Situation bestätigen: Kinder sind tatsächlich erstaunlich anpassungsbereit und anpassungsfähig. Wenn sich die Rahmenbedingungen plötzlich verändern, wie es derzeit der Fall ist, gibt es sicherlich Verluste und Sehnsüchte nach mehr Freiheit, aber Kinder passen sich an, solange sie das Gefühl haben, dass der Alltag in sich stimmt. Je mehr wir Erwachsene an Verunsicherung von außen hineinbringen, umso schwieriger wird es für die Kinder. Wenn Kinder relativ stabile Bedingungen vorfinden, können sie sich gut anpassen.
Wie erklärt sich diese erstaunliche Anpassungsfähigkeit der Kinder?
Birte Platow: Kinder arbeiten noch mit offenen und unverbundenen Konzepten der Welterklärung, so dass sie mit Irritationen und Unvorhergesehenem oft leichter und gelassener umgehen können als wir Erwachsene. Kinder scheinen nicht wie wir immer eindeutige, lineare und widerspruchsfreie Lösungen zu brauchen. Und das ist durchaus etwas, was man jetzt in der Situation einer Pandemie braucht und wo wir von den Kindern lernen könnten. Allerdings benötigen sie dafür eine grundlegende Sicherheit, also Vertrauen und Hoffnung. Wenn das in ihrem Umfeld nicht da ist, würde das nicht so gegeben sein.
Georg Langenhorst: Meine Mutter, die gerade 90 geworden ist, erzählt viel von Kriegserfahrungen und dass selbst die Kindheit im Krieg von vielen auch als eine glückliche Kindheit erlebt wurde. Weil Kinder für sich im Alltag Schlupfräume finden, um sich den Alltag lebenswert zu machen. Darauf dürfen wir ein Stück weit vertrauen und sollten nicht in Panikmache einsteigen oder gar von einer beeinträchtigten »Corona-Generation« sprechen, die weniger Schule und Freiheiten hat. Auch wenn es nicht komplett vergleichbar ist: Wir sollten uns erinnern, was aus der Kriegsgeneration geworden ist und was die aufgebaut hat.
Welche Rolle kann in dieser Situation der Glaube spielen? Und wie kann er vermittelt werden, wenn viele Angebote nicht stattfinden können?
Georg Langenhorst: Das ist nicht so einfach, denn es ist tatsächlich so, dass viele Bereiche der Religionsausübung für Kinder ebenso wie für Erwachsene derzeit schlicht ausfallen. Und ehrlich gesagt muss man die Frage stellen, ob Kinder etwas vermissen. Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn wir haben dazu noch keine Daten. Wenn aber über lange Zeit gewohnte religiöse Erfahrungsräume und Begegnungsformen ausfallen, kann es sein, dass diese nach der Rückkehr in die sogenannte Normalität einfach ganz wegbrechen. Es scheint derzeit so zu sein, dass Eltern noch einmal neu die Frage nach der Bedeutung der Religion für sich stellen. Und wenn sie diese als wichtig erachten, selbst die Aufgabe übernehmen, das zu gestalten.
Birte Platow: Wir erleben gerade auch beim Religionsunterricht eine starke Unterbrechung gewohnter Formen. Denn »Religion« wurde nicht zu den wichtigen Schulfächern wie Mathe, Deutsch, Sachunterricht gezählt, sondern einfach für entbehrlich und unwichtig gehalten. Da macht man sich schon Sorgen, wie nach einem solchen Abbruch wieder angeknüpft werden kann. Trotzdem bricht sich derzeit im existenziellen Bereich auch Religiöses im weiten Sinne Bahn. Viele Menschen und Familien aus meinem Wohnviertel haben sich in diesen Wochen bunte Regenbögen in die Fenster gehängt. Ich habe das einmal versucht zu zählen. Da war ich 15 Minuten unterwegs und habe 27 Regenbögen entdeckt. Bei einigen habe ich nachgefragt, warum sie das tun. Die kannten zwar nicht den biblischen Ursprung aus der Noahgeschichte, aber konnten an den dort ausgedrückten Symbolgehalt indirekt anknüpfen: der Regenbogen ist für sie ein Zeichen der Hoffnung und Verbundenheit, dass wir einander helfen und füreinander da sind. Das wäre auch eine große Gelegenheit für die Kirche, denn es scheint eine Aufnahmebereitschaft für solche Fragen und Themen da zu sein. Ob allerdings daraus auch eine Bereitschaft zum ausdrücklichen religiösen Leben erwächst, wird sich zeigen.
Georg Langenhorst: Diese Beobachtung teile ich. Es gibt zum Beispiel auch die neue Tradition der bunt bemalten Hoffnungssteine, die auf Brücken oder entlang von Wegen und Straßen ausgelegt werden. Das zeigt ein Bedürfnis nach Symbolisierung und Ritualisierung. Das brauchen Kinder ganz dringend: Rituale und Symbole. Das erzeugt Halt und ist wie ein Wärmestrom. Und das funktioniert im weltlichen Bereich gerade sehr gut und wäre auch eine Chance für den kirchlichen Bereich. Dass man alte Symbole wie den Regenbogen neu entdeckt und sich auf die Suche nach neuen Symbolen, Formen und Ritualen macht.
Wenn nun die Familien der entscheidende Ort für religiöse Bildung werden, wie können die das schaffen?
Georg Langenhorst: Das kann tatsächlich manche Eltern überfordern. Aber die Familie wird der Ort sein, der am Ende übrigbleibt. Dass es künftig vor allem auf die Familien ankommt, müssen wir auch als Chance verstehen. Hier wird wieder etwas Religiöses wachsen, das allerdings auch selbstständiger und unabhängiger von den Kirchen ist. Meine Hoffnung wäre, dass Kirchgemeinden Raum schaffen, in dem Familien sich attraktiv zusammenschließen können. Außerdem könnte die Stunde der Großeltern schlagen, dass sie die Religion an ihre Enkel vermitteln. Ich würde ihnen raten: Traut euch, ihr habt etwas mitzugeben aus eurer Lebenserfahrung und das ist oft auch ein Leben aus einem religiös begründeten Grundvertrauen!
Birte Platow: Ich glaube, dass Eltern den Auftrag zur religiösen Bildung nicht unbedingt vollumfänglich annehmen wollen und können. Ich fände es wichtig, die kleinen Anlässe im Alltag ernst- und wahrzunehmen, etwa wenn Kinder mit dem Wunsch nach Hause kommen, abends zu beten oder über den Tod zu sprechen oder Näheres über Kirchenfeste zu erfahren. Kirchgemeinden sollten nach Formen suchen, die Kinder und Eltern gemeinsam ansprechen und auch Spaß machen. Zum Beispiel, dass nach dem Gottesdienst eine Ralley für Kinder und ein Frühstück für Erwachsene angeboten wird. Wenn nur Angebote für Kinder gemacht oder nur traditionelle Gemeindekreise für Erwachsene angeboten werden, ist das für viele Eltern oft abtörnend.
Was können Sie Eltern empfehlen, wie sie den Glauben für und mit Kindern leben können?
Georg Langenhorst: Was Kinder wirklich schätzen, sind Geschichten. Wissenschaftlich ist erwiesen: Kinder bauen sich ihr Weltbild auf über Erzählungen. Kinder brauchen Geschichten und dafür bietet die Bibel ein wunderbares Reservoir. Religiöse Erziehung besteht zu einem großen Teil aus der Hineinnahme in Deuteerzählungen, mit denen man das Leben gestalten kann. Wir sollten einen neuen Raum schaffen für Geschichten, etwa durch Vorlese- oder Erzählzeiten mit Kindern und darauf vertrauen, dass solche Erzählungen die wichtigsten Dimensionen zum Leben erwecken können.
Dafür haben Sie, Herr Langenhorst, auch eine neue Kinderbibel auf den Markt gebracht …
Georg Langenhorst: Wir wollten eine Bibel für Kinder zum Selbstlesen herausbringen – also für das Alter von 8 bis 12 Jahren. Da entdecken Kinder Geschichten und das ist auch die reizvollste Zeit für religiöse Erziehung. Der wichtigste Zugang geschieht bei uns über die Bilder. Wir hatten das Glück, dass der renommierte Kinderbuchillustrator Tobias Krejtschi sich darauf eingelassen hat und eine wirklich eigene, reizvolle und rätselhafte Bildwelt geschaffen hat. Diese Bilder erzeugen Fragen und führen damit zu der erzählten Geschichte.
Diese Adventszeit ist eine besondere. Haben Sie für die Familien Tipps, wie die Botschaft des Advent und der Weihnacht in diesem Jahr den Kindern nahegebracht werden kann?
Birte Platow: Ich denke, man muss da nichts Neues erfinden, sondern sich für das Bewährte Zeit nehmen. Also nicht einfach nur durch diese Zeit durchturnen, sondern sie etwas bewusster erleben. Dass Eltern immer mal versuchen, einen Gang runterzuschalten und sich Zeit nehmen, zum Beispiel für das Plätzchenbacken oder das Kerzenanzünden und dann den Kindern zuhören. Die haben nämlich oft sehr gute und lustige Ideen zu dem, was wir im Advent und zu Weihnachten begehen.
Georg Langenhorst: Wir haben uns als Familie einen Brauch in der Adventszeit geschaffen, der heißt: »Jeden Tag fünf Minuten«. Da kommen wir am Tisch um den Adventskranz oder die erzgebirgische Weihnachtspyramide zusammen, zünden die Kerzen an, werden ruhig, hören Musik oder eine kleine Geschichte oder tauschen uns aus. Darauf freue ich mich jedes Jahr, wenn endlich der öde November vorbei ist und der Advent anbricht – da beginnt eine gestaltete Zeit, in der man mit den Kindern zur Ruhe kommen kann, ohne großartig zaubern zu müssen. Gut so!
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.