Lieber Gert, wioe Du schreibst, kennst Du Brittas Problem "aus der Nähe".
Gibt es da keine Lösung (über den Kirchenkreis)?
Mann kann es doch nicht einfach so hinnehmen?
Gruß Joachim
Gefangen im Milieu
Die Kirche erreicht nur die Menschen, die sie immer schon erreicht: eher bürgerliche, eher konservative, eher gebildete. Die anderen bleiben meist draußen.Warum stimmt die alleinerziehende Mutter, die zur kleinen Entspannung in der Familienhektik Helene Fischer hört, sonntags nicht in Paul-Gerhardt-Lieder ein? Warum wird der Innenarchitektin nicht so recht warm ums Herz, wenn sie das Gemeindebüro mit 80er-Jahre-Charme betritt? Und warum drängt es den gerade entlassenen Paketfahrer nicht in einen kirchlichen Stuhlkreis? Wir sind offen für alle, sagt die Kirche – dummerweise empfinden es viele Menschen nur nicht so.
Woran das liegt, haben Sozialwissenschaftler und Theologen in den letzten Jahren ausgiebig vermessen: Unsere Gesellschaft zerfällt in immer mehr Milieus, und die Kirche erreicht nur wenige von ihnen. Menschen aus traditionellen, bürgerlichen und konservativen Milieus sind besonders stark in der evangelischen Kirche vertreten, fand eine Studie des Sinus-Instituts für die württembergische und badische Landeskirche heraus – aber auch das sozial-ökologische Milieu ist überdurchschnittlich oft protestantisch.
Dagegen findet sich die junge moderne Mittelschicht, die zielstrebig arbeitet und der Familie ebenso wichtig ist wie Konsum, kaum in der Kirche. Unterschichten-Milieus seien sogar »dramatisch unterrepräsentiert«, heißt es in der Studie.
Es ist eine Spirale: Die Kirche erreicht nur bestimmte Milieus – und die wiederum bestimmen, dass Barock statt Rock gespielt wird, dass es Tee gibt und nicht Cocktails, dass die alten Vorhänge noch gut sind und Club-Sessel doch nichts für den Gemeinderaum. Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber nennt es eine »Gefangenschaft im eigenen Milieu«. Für den Altbischof hat das viel mit eigenen Berührungsängsten der Christen zu tun. »Wir wollen dem Volk aufs Maul schauen, aber wir hören nicht, was es sagt. Das ist geistlich besorgniserregend«, schreibt der Altbischof. »Denn wir kennen den Kummer vieler Menschen nicht und auch nicht ihre Freude. Wir ahnen die Zweifel nicht, die sie in sich tragen, aber auch ihre Glaubensfestigkeit ist uns fremd.«
In Dresden haben Christen in einem Modellprojekt der Landeskirche versucht, dieser Gefangenschaft im Milieu zu entkommen. Fast zehn Jahre lang machten sie im Zoo, einem Kino und einem Theater Gottesdienste für Menschen, die lieber Rock hören als Kantaten: Mit Band, Comedy und der Möglichkeit, den Prediger ins Kreuzverhör zu nehmen. Über 250 Besucher zogen die »Go life«-Gottesdienste aller zwei Monate an – 23 Prozent von ihnen gehörten keiner Kirche an, viele weitere waren zwar Christen, gingen jedoch kaum oder nie zum Gottesdienst.
2011 war damit Schluss. Den »Go life«-Gottesdiensten war es nicht gelungen, eine Art feste Gemeinde zu bilden. Und viele traditionelle Kirchgemeinden in Dresden waren nicht bereit, für diesen Anker in fremde Milieus Geld abzugeben. Heute unterstützt die Landeskirche Modellprojekte in Zwickau und in der Dresdner Neustadt, mit denen Gemeinden gepflanzt werden sollen auf fremdem Terrain.
Der entscheidende Schlüssel hin zum Glauben und zur Kirche liegt meist bei Freunden, Angehörigen, Bekannten und Kollegen, die das Christliche ins Gespräch bringen, wenn es dran ist – das hat eine Befragung von 462 Christen durch den Greifswalder Theologieprofessor Michael Herbst gezeigt. Erst Beziehung und Vertrauen, dann Glauben – nicht andersherum.
Doch um diese Beziehungen möglich zu machen, müssen die »Ekelschranken« zwischen Milieus überwunden werden, meint Herbst. »Jesus überschreitet Grenzen und Ekelschranken. Er überschreitet die Grenzen zu den armen Schluckern wie zu den reichen Kornbauern.« Jesus tut das dienend. Und fragend, zuerst fragend: »Was willst du, dass ich für dich tun soll?« Ganz offen. Damit auch die Tür zum Evangelium offen wird.
Eine Kirche für Menschen, die sonst nie in eine Kirche gehen würden – das soll die »Bunte Kirche Neustadt« in Dresden werden. Geht das? Die Geschichte einer Gründung mit offenem Ausgang lesen Sie im SONNTAG-Digital-Abo hier.
Liebe Mit-Streiter,
auch ich kenne die Gemeinde, aus der heraus Britta schreibt. Ich kenne ihren Frust und auch die Meinungen anderer Gemeindeglieder. Ich verstehe ihren Frust gut. Trotzdem muss ich widersprechen, denn die Hochrechnung auf d i e Pfarrer, die ihre Ehrenamtlichen allesamt missachten, ihnen in den Rücken fallen und die Mitarbeiter boykottieren, stimmt so nun nicht. Ich kenne eine Unzahl von Pfarrern, die mit diesem Text beleidigt werden. Ich kenne Pfarrer, die sich beim Landeskirchenamt beschweren, dass die gemeindliche Kantorenstelle völlig unterbewertet und unterbezahlt ist. Und die Schelte, die nun anderen Mitarbeitern angedient wird, trifft dann auch die fleißigen Kantoren in besagter Gemeinde. - Es ist das alte Problem: Man kann nicht vom Erleben einer Person auf die gesamte Gruppe schließen und vom Handeln einer Person auf deren Wirksamkeit: ein Verteidigungsminister kann nichts Friedensförderndes tun, denn er hat seine Tochter geschlagen - ein Tierschützer macht sich unglaubwürdig, denn er hat ein Schnitzel gegessen - die Grünen sind unglaubwürdig, denn ihr ehemaliger Oberster fährt umweltschädliche Autorennen usw. usf...
Frust kann die Wahrnehmung so erheblich stören, dass man zu dem Ergebnis kommt: Alle kirchliche MA sollten ein Jahr in die Produktion. Das trifft dann viele Pfarrer (z.B. Herrn Flessing oder auch meinen Bruder, die beide aus einem handwerklichen Beruf kommen), oder auch die Diakone, die fast alle einen außerkirchlichen Beruf haben (und sich um des Evangeliums willen für den minderbezahlten in der Kirche entschieden haben.) Ich habe z.B. als Elektromonteur im Meisterbereich Mittweida gearbeitet. Also die aus Frust geborene Pauschalisierung hilft niemanden. Sie entmutigt eher noch die willigen MitarbeiterInnen, wenn ihnen aus der Gemeinde solche Meinungen entgegenschallen...
Johannes Lehnert
Lieber Herr Lehnert,
in vielem (nicht allem!), was Sie hier schreiben haben Sie ja Recht. Es hört sich ja jetzt schon von mindestens 3 Seiten (Britta eingeschlossen) so an, als sei dieses "Problem" (das offenbar nicht nur Britta betrifft?) der entsprechenden Gemeinde in größerem Kreis bekannt ist.
Wäre es da nicht an der Zeit, nicht nur (mit entsprechenden Schuldzuweisungen!) drüber zu reden, sondern nach Lösungen zu suchen?
Lieber Herr Lehnert, ich fürchte, dass ich heute nicht mehr sonderlich gut "in der freien Wirtschaft" zurecht käme. Betriebsschlosser mögen zwar immer noch gebraucht werden, aber auf Grund meines Alters und der Tatsache, dass sich jeder Berufszweig weiter entwickelt, ware ich wohl schwer vermittelbar. :-)
Liebe Britta, wir sollten wirklich und in keiner Hinsicht pauschalisieren. Das bringt nichts. Es ist immer und überall jeder Fall gesondert zu betrachten.
Das es eine Häufung von Problemen in den Pfarrämtern gibt, das es verstärkt Frust auf den verschiedenen Seiten gibt, merke ich auch. Aber ich merke auch, wie jeder Fall anders gelagert ist.
Wenn ich an den mehrtägigen Konvent in Meißen denke, so erinnere ich mich, das es bei vielen Kollegen und Kolleginnen eine gewisse Grundunzufriedenheit gab, die sich nur schwer erklären ließ.
Manchmal stellte sich dann heraus, das man nicht weiß, wie man seinen Tag richtig strukturiert. Andere hatten Problem mit notwendigen Gesprächen, z.B. im Blick auf Amtshandlungen. Bei manchen dauert die Vorbereitung von Gottesdienst oder Amtshandlung "ewig" usw.
All das lässt sich irgendwie lösen. Man muss es nur wollen.
Was offen blieb, ist die Frage nach dem persönlichen Gottvertrauen und der Freude an Gott und dem Auftrag, den er uns gegeben hat.
Gert Flessing
Lieber Herr Flessing, auch ich würde heute als Elektromonteur "wie das Schwein ins Uhrwerk gucken", wenn ich z.B. in heutigen Trafostationen arbeiten sollte. Aber das war ja nicht der Sinn der Rede. Wenn jemand sagt: Alle kirchlich Arbeitenden sollten mal für ein Jahr in die Produktion, so heißt da doch vielleicht: Die sollten erst mal arbeiten lernen! Das wollte ich sagen. - Wer mal bei 10 Grad Kälte und Schneesturm in 10 m Höhe auf einem Mittelspannungsmast einen Kabelendverschluss machen musste, weiß, was arbeiten ist. Und dies trifft einfach auf viele Mittarbeiter zu. Mein damaliger Landesjugendpfarrer hat nach seinem Studium erst mal auf dem Bau gearbeitet. Der Beispiele sind Legion... Und ich kenne auch Pfarrer, die von ihren MitarbeiterInnen Hörigkeit erwarten oder die Pfarrkanzlei, wo man schon beim Eintritt merkt, dass man stört. Ich habe viele Jahre den Personalrat der Landeskirche geleitet und Woche für Woche Anrufe von Mitarbeitern bekommen, die sich gemobbt fühlten. Aber das ist eben nicht alles, es kommt auf den Einzelfall an. Ich glaube, ich habe gedemütigten Mitarbeitern nie gesagt: Pfarrer sind eben so, sondern : Erzähl ma' - wir werden sehen, ob und wie sich was ändern lässt. - Ich wollte mit meinem vorherigen Post warnen vor einer unseligen Pauschalisierung, weil sie erstens diejenigen, die mit Jesusliebe und Elan ihren Dienst tun, gleich mit vermiest, und zweitens, weil diejenigen, die nicht als Insider die Kommentare lesen, bestätigt sein könnten: Das hab ich schon immer gewusst, Kirche ist auch nicht besser als alle anderen Vereinigungen! Und das täte mir leid...
Es grüßt Johannes Lehnert, vielleicht mal wieder in Lunzenau
Lieber Herr Lehnert, als ich vor über dreizig Jahren in meine erste Pfarrstelle ging, wusste ich schon, das sich Kirche nur marginal von anderen "Vereinigungen" unterscheidet. Auch Kirche wird von Menschen gestaltet. Auch die "Geschwisterlichkeit" wird oft genug nur im Munde geführt. Das ist leider so.
Das ist auch ein Grund dafür, das ich mich nie in irgend etwas reinhängen würde. Wer zu mir kommt, um ein Gespräch zu suchen, der wird ein offenes Ohr ebenso finden, wie, hinterher, einen geschlossenen Mund. Ein gemeinsames Gebet allemal.
Vielleicht einen Rat, aus meiner Sicht. Immer den Hinweis, sich völlig Gott anzuvertrauen und aus seiner Liebe zu leben.
Während ich schreibe, sehe ich vor meinem inneren Auge das Gesicht des Kollegen, der Britta so in Rage versetzt, vor mir. Es ist nicht das Gesicht eines Berserkers, der um sich schlägt, sondern ein recht zartes Gesicht eines Menschen, in dem eine tiefe Traurigkeit zu stecken scheint. Was mag ihn so verletzt haben, das er wurde, wie er wahrgenommen wird?
Ja, es ist um die Seelsorge an den Seelsorgern oft nicht gut bestellt. Es ist oft genug auch um das Vertrauen des einen zu dem anderen nicht besser bestellt.
Manchmal habe ich erlebt, dass sich das kirchliche Disziplinarrecht rühren musste. Nie habe ich erlebt, das dadurch etwas wirklich zum Besseren geworden ist.
Sollten Sie wieder mal hier sein, würde es mich freuen.
Gert Flessing
Lieber Gert,
entschuldige, daß ich mich in Euer Gespräch enklinke.
Danke für die Andeutungen Deiner Sicht der Sachlage und die traurige bedauernswerte Gestalt Deines Kollegen.
Ja, was kann jetzt die Lösung sein, doch sicher nicht, daß eine Gemeinde den Bach runter geht?
Welch eine arrogante Überheblichkeit: "... und die traurige bedauernswerte Gestalt Deines Kollegen." Obwohl Du ihn gar nicht kennst außer einer Klage über ihn und zwei, die Brittas bitteren Unmut verstehen können. Was gibt Dir das Recht, Dich so unchristlich über ihn zu erheben? "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet". Aber dieses Jesuswort kennst Du wohl nicht. Hauptsache, Du fühlst Dich besser, weil andere solch traurige, bedauernswerte Gestalt sind. - Der Ritter von der traurigen Gestalt hatte einen kleinen, dicken Gefährten, Sancho Pansa...
Lieber Gast, wer ist hier überheblich? Zum einen habe ich wohl etwas anderes geschrieben, nicht von einer "traurigen Gestalt" jedenfalls. Da ich aber vom Gesicht schrieb, werde ich schon etwas mehr wissen, als ein anonymer Gast. Gesichter bringen mancherlei zum Ausdruck. Manches steht in den Augen eines Menschen. Im Konvent macht man sich schon so seine Gedanken.
Ich wüsste auch nicht, das ich über ihn gerichtet habe. Aber Gäste können ja, hinter ihrem Pseudonym verborgen, schon mal ein wenig Unterstellung betreiben. Sie tun mir leid, lieber Gast. Auch eine Anonymisierung und Maske zeugt von Angst. Auch eine Art, sein "Gesicht" zu verhüllen.
Dennoch wünsche ich auch Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Gert Flessing
Lieber Gast, nun, nachdem ich gefrühstückt habe, ist erst einmal eine Bitte um Vergebung fällig. Leider habe ich Ihre Schreibe auf meinen Beitrag bezogen und die Zwischensequenz übersehen.
Also: I´m so sorry.
Gert Flessing
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