Lieber Herr Flessing,
vielen Dank für Ihre Überlegungen, die auch die Realität einbeziehen. Letztere paßt sich nämlich manchmal schlecht an die Theorie an, wie wir schon hier sehen, und wird deshalb gern ausgeblendet.
Viele Grüße
Britta
Letzte Zuflucht Kirchenasyl
Der Streit um das Kirchenasyl wird erbittert geführt, hat aber keinen Einfluss auf die Zahlen: Die Flüchtlinge in der Kirche werden immer mehr. Nur in Sachsen ist das anders.Es war nur eine kleine Mitteilung an die Lokalpresse in Bautzen, doch das Medieninteresse war gewaltig – und für die Kirchgemeinde überraschend. Sie bietet einer iranischen Familie in ihren Räumen Schutz vor der drohenden Abschiebung, doch das zu einer Zeit, in der das Kirchenasyl von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) scharf kritisiert, ja »prinzipiell und fundamental« abgelehnt wird. »Wir hätten es besser nicht öffentlich machen sollen«, sagt Pfarrer Jörg Sirrenberg von der Kirchgemeinde Bautzen-Gesundbrunnen wenige Tage später. Etliche Anfragen von Presse, Funk und Fernsehen habe es gegeben. »Ich hatte gedacht, wenn eine Öffentlichkeit da ist, wäre es besser. Doch jetzt möchten wir die Familie davor schützen«, so der Pfarrer.
Der kirchliche Schutz für Flüchtlinge sorgt in Deutschland gerade für heftige Diskussionen. Grund dafür sind die rasant gestiegenen Zahlen: Waren es Anfang 2014 noch bundesweit 34 Fälle, so hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl in dieser Woche schon 226 Fälle mit über 400 Personen gezählt. Parallel steigen auch die Flüchtlingszahlen enorm an.
Die Kirchen wollen an dieser Asyltradition festhalten, um Härtefälle überprüfen und Menschlichkeit zum Zuge kommen zu lassen. Der Bundesinnenminister hält dagegen, die Kirchen würden das Asyl missbrauchen und sich über geltendes Recht stellen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwägt unterdessen eine Verschärfung der Regelungen für die sogenannten Dublin-Fälle, den Großteil der Kirchenasyle: Dabei sollen Flüchtlinge in das EU-Land zurückgeschickt werden, in das sie zuerst eingereist sind. Um ein Asylverfahren in Deutschland zu erhalten, mussten sich Flüchtlinge bislang mindestens sechs Monate im Land aufhalten. Dabei half das Asyl in der Kirche, die Frist zu überstehen. Nun könnte sich diese Wartefrist für Menschen im Kirchenasyl auf 18 Monate verlängern. Der Druck auf das Kirchenasyl würde für Flüchtlinge und Gemeinde größer.
Von steigenden Zahlen im Kirchenasyl kann in Sachsen keine Rede sein. So ist der Fall von Bautzen das erste öffentlich gewordene Kirchenasyl seit langer Zeit. In den letzten fünf Jahren habe es überhaupt nur drei Fälle, sogenannte »stille Kirchenasyle« gegeben, sagt der Ausländerbeauftragte der sächsischen Landeskirche, Albrecht Engelmann. Die Kirchgemeinden informierten lediglich ordnungsgemäß die Behörden, sonst niemanden. Doch auch bei den wenigen Einzelfällen kommt Kritik aus dem sächsischen Innenministerium. Die Gemeinden hätten mit dem Kirchenasyl »gezielt die vollziehbare Ausreisepflicht unterlaufen«, heißt es. Dabei war das Ende der Fälle nicht immer positiv: Ein Fall sei noch nicht entschieden. Ein Mann habe den Druck im Kirchenasyl nicht ausgehalten und sei untergetaucht. Und ein Mann sei von Sachsen nach Berlin ins Kirchenasyl gewechselt, wo er jetzt die Aufenthaltserlaubnis bekommen habe, berichtet Engelmann.
Warum es in Sachsen kaum Kirchenasyl gibt, weiß Albrecht Engelmann nicht genau. »Vielleicht weil die Gemeinden andere Lösungen mit den Behörden suchen«, meint er. Oder weil sie das Risiko der Konfrontation mit dem Staat scheuen?
»Kirchen sind Orte der Religionsausübung und der religiösen Begegnung, aber keine rechtsfreien Räume«, sagt dazu eine Sprecherin des Innenministeriums. Wie die Rechtsdurchsetzung in kirchlichen Räumen Sachsens im Einzelfall gestaltet werden könne, werde im Zusammenspiel mit dem jeweiligen Pfarrer geklärt. Für den kirchlichen Ausländerbeauftragten Albrecht Engelmann klingt das nach »einer neuen Denkart«, seitens der Behörden »eine gute Kommunikation aufzubauen«. »Ich verstehe das als Gesprächsangebot«, so Engelmann.
Gert Flessing schreibt:
26. Februar 2015, 9:11
Lieber Herr Flessing,
Sie täuschen sich. Kirche ist politisch niemals neutral. Sie ist immer Partei – und zwar sowohl, wenn sie etwas tut als auch, wenn sie etwas nicht tut. Dies ist eine der vielen Lehren, die wir aus dem vergangenen Jahrhundert zu ziehen HABEN. In der Befreiungstheologie wurde das formuliert als Option für die Armen.
Das heißt nicht, dass wir parteipolitisch agieren.
Und ich darf und muss geltendes Recht brechen, wenn geltendes Recht Unrecht ist – gerade, weil wir keine Diktatur sind. Diese Diskussionen sind in den 80. Jahren schon intensiv geführt worden. Denn auch der Rechtsstaat begrenzt sich – etwa, wenn die Würde des Menschen absolut gesetzt wird. Wer dem positives Recht als ebenso absolut entgegensetzt, begibt sich – vorsichtig ausgedrückt – auf einen sehr schmalen Grat.
Und natürlich ist es ein Agieren an der Grenze und niemals Normalität, wenn gegen Gesetze gehandelt wird.
Herzlich
Ihr Paul
Lieber Paul,
wer entscheidet denn dann, ob geltendes Recht Unrecht ist? Was ist, wenn viele Leute dazu unterschiedliche Meinungen haben? Ist eine Anarchie dann besser? Möglicherweise sieht man ja manche Dinge retrospektiv anders als am Anfang? Was dann? Zumal Präzendenzfälle dazu einladen, das Rechtssystem generell zu untergraben. Manch gesetzestreuer Bürger wird sich dann sagen, wieso muß ich mich an Gesetze halten und andere nicht?
Ich weiß, es ist eine Krücke, aber oftmals ermöglichen Gesetze erst ein einigermaßen zivilisiertes Zusammenleben...
Herzliche Grüße
Ihre Britta
Lieber Paul, sie werden verstehen, dass ich kein unbedingter Freund der Befreiungstheologie bin, steht sie doch in gewissem Gegensatz zur lutherischen Zwei Reiche Lehre.
Was nicht bedeutet, dass ich die Option, an der Seite der Armen zu stehen, ablehne. Die Bemühungen um fairen Handel usw. gehören zu christlicher Verantwortung dazu.
Ich sehe auch die Pflicht der Kirche, Widerstand zu unterstützen, wo er sich, wie im dritten Reich, gegen eine Diktatur richtet, die den Menschen, in all seinen Lebensäußerungen, vereinnahmen will.
Wir leben aber nicht in einer derartigen Diktatur und da sollten wir uns schon sehr überlegen, wie wir agieren.
Natürlich bleibt unser Handeln immer auch eine sehr persönliche Gewissensentscheidung.
Die kann uns weder eine Kirchenleitung noch ein Minister abnehmen.
Die Erfahrung meines Lebens lehrt mich, dass auch dann, wenn ich eine solche Entscheidung getroffen habe, zwischen der Theorie des Handelns und der Praxis, Welten klaffen können.
Das hat mich, im Blick auf vollmundige Bekundungen von allen möglichen so oder so muss man`s machen, vorsichtig zu sein gelehrt.
Gert Flessing
Lieber Gert,
ich finde es gut, wenn man sich, wie bei Euch offenbar gescheehen, schon im Vorfeld gerade auch über praktische Dinge Gedanken macht. Da kann man dann eben im "Ernstfall" schneller oder sofort praktisch aktiv werden!
Andere philosophieren lieber allegemein und "grundsätzlich" im Vorhinein herum, ziehen aber dann, wir es schon von ihnen kennen, bei jeder praktischen konkreten Aktion den A. ein!
von dieser vorsicht merke ich nichts. sie kommentieren doch permanent vollmundig und wissen immer schon, daß emotionalität nichts bringt, dass vernunft gottgegeben ist und bei kirchenasyl der kv einstimmig abstimmen muss, sonst gehts schief....
Britta schreibt:
27. Februar 2015, 17:02
Liebe Britta,
Sie erinnern sich sicher, dass ich die Demokratie für keine gute Regierungsform halte, dagegen aber die Nomokratie lobte? Das sage ich also nicht leichtfertig.
Zu Ihrer Frage: Das Ich entscheidet. Und es gibt keine abstrakte Antwort. Es gibt aber sehr weitgehende Überlegungen dazu. Diese finden Sie beispielhaft bei dem von Ihnen zu recht so geschätzten Jürgen Habermas, etwa hier: http://www.zeit.de/1983/39/ungehorsam-mit-augenmass/komplettansicht
Es gibt noch andere und radikalere Vorstellungen vor allem in den USA, und ich habe auch noch ein paar Überlegungen dazu – die nicht so radikal sind. Aber das hier ist schon ziemlich gut. Und es ist eben gerade dies ein Zeichen des Rechtsstaates, dass er dies aushält. (Vielleicht schauen Sie sich ja den Film über M.L.King an, der jetzt in die Kinos kommt.)
Herzlich
Ihr Paul
Lieber Paul,
höre ich etwas Sarkasmus in Ihren Worten?! Ich erinnere mich natürlich an Ihr Lob der Nomokratie, diese sollte aber dann objektiv sein und nicht subjektiv ausgehölt werden.
Aber witzig: setzen Sie mal den Text des von Ihnen seltsamerweise heißgeliebten Habermas in Verbindung mit z.B. Pegida - da käme man doch gar nicht drauf, wie alt der Text schon ist. Sein Beispiel Hausbesetzer: leider halten solche beschwingten Parallelgesellschaften das Objekt ihrer Gesetzesverletzung nicht in Ordnung und haben nur Forderungen! Würden Sie sich darüber freuen, wenn es Ihr Haus wäre, was da besetzt wird oder in mietnomadenartiger Weise heruntergewirtschaftet wird?
Wenn Kirchenasyl die Defizite des Rechtsstaates ausgleichen soll, warum habe ich dann z.B. nie gehört, daß eine Kirche E. Snowden Asyl anbot? Für mich ist die Warnung vor Paralleljustiz gar nicht so abwegig. Wir regen uns über die Verdrängung grundgesetzlicher Werte durch die Sharia auf, gleichzeitig sollen wir diesen Gesetzesbruch richtig finden? Es sollte lieber darauf hingewirkt werden, daß eine EU-weite Regelung gefunden wird, daß die Grenzstaaten Europas nicht auf dem Flüchtlingsproblem sitzenbleiben, d.h. es müssen Quoten festgelegt werden, nach denen die Leute in ALLE EU-Staaten verteilt werden. Und am besten auch allgemeingültige Asylbedingungen, so daß entsprechende Verfahren nicht mehr monatelang dauern, Monate falscher Hoffnung, Monate ungerechtfertigter Wegnahme von Kapazitäten!
Und letztlich haben wir ja auch die inoffiziell staatlich geduldeten notorischen Gesetzesbrecher, ein gutes Organigramm hier: https://demokratischerstaat.files.wordpress.com/2015/02/antifa136.jpg
die überall dort auftauchen, wo nichtmal Gesetze gebrochen werden, sondern gegen Abtreibung, Genderisierung, Islamisierung, Krieg mit Rußland etc. demonstriert wird. Da treten die Gesetzesbrecher plötzlich als die "Retter" des Staates auf - paradox das alles!
Ich bleibe dabei: der Rechtsstaat gilt für alle und die Exekutive sollte ohne Ansehen der Person erfolgen. Das kann sich nicht jeder so hinbiegen, wie er es für richtig befindet, dann laufen wir auf Anarchie und Diktatur zu!
Herzliche Grüße
Ihre Britta
Gert Flessing schreibt:
27. Februar 2015, 18:00
Lieber Herr Flessing, da es vor allem ein praktisches Problem ist, finde ich theoretische Überlegungen nicht so dramatisch. Anders: Solange sich ein in seiner Würde bedrohter Mensch auf Ihre Unterstützung verlassen darf, ist die lutherische Zwei-Reiche-Lehre nicht schlimm.
Zur Befreiungstheologie: Da würde ich auch differenzieren – vor allem, weil ich ja (wie der wahrscheinlich bezahlte Hetzer immer wieder betont) nur theoretisch betroffen bin. Ich weiß nicht, wie viele Kinder, die verrecken, Frauen, die missbraucht und Männer, die ermordet werden, es brauchte, bis auch ich Gewalt als legitimes Mittel betrachten würde. Aber neben diesen Befreiungstheologen gibt es auch die, die in aller christlichen Klarheit Gewalt ablehnen. Darauf hatte ich Christoph schon einmal hingewiesen – gern auch Sie: Lesen Sie die Texte der 2. Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates in Medellin 1968.
Herzlich
Ihr Paul
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