Im Fadenkreuz beginnt Ostern
Terror in Brüssel, Krieg in Syrien, Flüchtlinge bei uns – Ostern ist heute. In all den Schmerzen und Ängsten unserer Zeit. Auch wenn es nicht so scheint.Kann man Ostern feiern, wenn in Syrien und Libyen ein Krieg schwelt, wenn die Angst vor Terrorbomben durch die Straßen von Brüssel oder Istanbul kriecht, wenn flüchtende Menschen vor den Toren Europas in Schlamm und Kälte abgewiesen werden? Wenn unser eigener moralischer Lack abplatzt wie kaum jemals zuvor in den letzten Jahrzehnten?
Die Bäume schicken sich an zu erblühen, die Tage werden wärmer und in den Kirchen wird wieder gesungen: »Christus ist auferstanden«. Aber was sagt diese Hoffnung angesichts der Bilder der Gemarterten aus Assads Folterkellern? Angesichts der wieder und wieder ertrunkenen Kinder auf dem Weg nach Europa? Und angesichts der Überforderung des Abendlandes mit der Aufgabe, all das Elend zu lösen.
Was sicher zu sein schien, rutscht in diesen Tagen weg. Den einen beginnt ihr Land fremd zu werden, weil Menschen aus fernen Kulturen ihre Nächsten werden. Andere werden sich selbst fremd, weil ihre in ruhigen Tagen gepflegten politischen Koordinaten im Sturm der Ereignisse plötzlich wanken. Weil die glatte See der einfachen Antworten plötzlich stürmisch geworden ist und sich moralische Strudel auftun. Die einen versuchen an ihnen vorbei zu navigieren, als ob sie nicht sähen. Die andere sehen sie, und drohen verschluckt zu werden. Was ist noch gut? Und ist dort draußen irgendwo Gott?
Nach den islamistischen Anschlägen von Paris titelte der Sonntag: »Terror, wo ist dein Sieg?« Der Leipziger Künstler Matthias Klemm hat diese Frage in ein Bild verwandelt. Sein Kreuz ist ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz der IS-Terroristen, von Assads Scharfschützen und Putins Bomben, auch das Fadenkreuz all der Wut in deutschen Straßen und digitalen Kanälen. Der Wut auf Fremde, Politiker, Journalisten, auf Linke, auf Rechte. Am Karfreitag hat Jesus selbst sein Kreuz getragen. Er ist den Weg in den Foltertod selbst gegangen. Vielleicht ist es mit den Fadenkreuzen unserer Tage ähnlich, und er ist dort.
Wenn es so ist, und man kann diesem Gedanken nur in aller Vorsicht nachdenken, dann triumphiert Jesus Christus nicht über Gewalt und Wut und Ängste. Die Bilder der Nachrichten sind der Beweis. Dann kann es sein, dass er sich selbst zu ihrem Ziel macht. Unsichtbar auf der Seite der Leidenden. Leidend mit ihnen. Mit den syrischen Oppositionellen, denen der Geheimdienst die Augen ausgerissen hat, mit dem Vater, dem sein Kind auf einem Schlauchboot in der Ägäis aus den Händen glitt, auch mit den Politikern Europas, die zwischen Schuld und Schuld entscheiden müssen. Das Kreuz von Golgatha von vor 2000 Jahren ist oft genug zur religiösen Folklore verniedlicht worden. Dabei ist es mitten in dieser Welt. Und diese Tage zeigen es unübersehbar.
Es könnten trostlose Tage sein, denn in keinem Fadenkreuz wohnt Trost. Doch im Bild des Malers Matthias Klemm ist im Zentrum des Unheils ein Leuchten. Zwei Gesichter mit Sanftmut in ihren Zügen. Eine Mutter und ihr Sohn, der Ostern auferstanden ist.
In ihren Blicken liegt eine Wärme, die der Glaube inmitten allen Unheils von Gott erhofft – und sich auch in den Blicken zwischen Menschen spiegeln kann: Wenn Feinde einen Frieden suchen, Mächtige Waffen abziehen, ohnmächtig Ängstliche ihre Angst überwinden – und das Nötige tun für ihren Nächsten, auch wenn er fern scheint. Wenn der eigene moralische Lack nicht mehr das Wichtigste bleibt.
Ostern ist die Hoffnung, dass die Gewalt nicht das Letzte ist. Die Wut nicht, die Angst, die Schuld und auch der Tod. Wie eine kleine Auferstehung aus einem mit Stein verriegelten Herzen kann so etwas sein. Gott selbst hat diesen Stein Ostern fortgewälzt.
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Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
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