@Andreas Roth und P.D.: vielen Dank für die interessanten Hinweise
@Herr Flessing: Krieg zum Zwingen an den Verhandlungstisch? Warum sind dann so viele Friedensinitiativen (hauptsächlich von deutscher Seite, aber auch vom Vatikan etc.) abgelehnt wurden?(Z.B. 1916 hatte der deutsche Kaiser einen Frieden status ante angeboten, zu einer Zeit, als die Mittelmächte überlegen waren, da Rußland am Kapitulieren und die französische Armee am Meutern war.) Es ging schon damals um wirtschaftliche Interessen und Ausschaltung unliebsamer Konkurrenten. Beste Grüße L.M.
Gott auf dem Schlachtfeld
Millionen Menschen starben im Ersten Weltkrieg – auch die Kirche rief zum Gemetzel. Danach war einigen Theologen klar: Gott ist ganz anders. Und selbst tief unten im Abgrund.Es war in der Schlacht um die Champagne, es war mitten im großen Sterben, als auch eine ganze Theologie tot im Schützengraben lag. »Es war in einer Nacht, in der viele meiner Freunde tödlich verletzt wurde, in der schmerzlichen Schlacht. Und ich musste mit ihnen reden und sie starben überall um mich herum.« Der alte Gelehrte mit dem schlohweisen Haar antwortet in einem sehr deutschen, sehr leisen Englisch, als ein amerikanischer Fernsehreporter den großen Theologen Paul Tillich (1886–1965) nach dem Wendepunkt in seinem Denken fragt.
Der Deutsche räuspert sich, stockt: »Ich habe die tiefste negative Seite des Lebens gesehen in dieser Nacht. Und meine Augen wurden für immer geöffnet.«
Tillich hatte sich zu Beginn des Weltkrieges 1914 freiwillig als Feldgeistlicher an die Westfront gemeldet, ein Jahr später brach für ihn alles zusammen, was er bis dahin gelernt hatte: all der Idealismus in Philosophie und Theologie, all der Glaube, dass alles immer besser werde und Gott mit dem Fortschritt Hand in Hand ginge. »Das vierjährige Erleben des Krieges riss den Abgrund für mich und meine ganze Generation so auf, dass er sich nie mehr schließen konnte«, schrieb Tillich später.
An diesem Abgrund musste sich für ihn künftig alles messen, was über Glaube und Gott gesagt wird. Tillich fand als Professor an der Technischen Universität Dresden und ab 1933 vor den Nazis nach Amerika geflohen radikale Antworten: Der gefeierte Theologe konnte sich Kirche nur noch als eine echte Begegnung mit den existentiellen Problemen der Menschen vorstellen, in der sich die Fragenden verändern und auch die Antwortenden, sogar Gott selbst. Als eine lebendige Beziehung zu Gott, mitten im Abgrund. Er kannte nach dem Schlachten keinen anderen Ort mehr dafür.
In einem Schweizer Industriedorf liest kurz nach Kriegsbeginn ein Landpfarrer das Manifest von 93 deutschen Elite-Gelehrten, die sich hinter des Kaisers Kriegspolitik stellen – und entdeckt mit Entsetzen darunter die Namen all seiner verehrten Theologieprofessoren wie Adolf von Harnack. »Ich habe eine arge Götterdämmerung erlebt«, schreibt der junge Schweizer Pfarrer: »Wie Religion und Wissenschaft restlos sich in geistige 42 cm Kanonen verwandelten. ... Ich wurde irre an der Lehre meiner sämtlichen Theologen in Deutschland.« Der Name des Pfarrers: Karl Barth (1886–1968).
Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zerbrach die liberale Theologie: Eine Theologie, die vom aufklärerischen Glauben an die Vernunft geprägt war, die im Fortschritt das Reich Gottes suchte. Die die Bibel so lange historisch-kritisch zerlegte, bis nicht viel mehr übrig blieb als bürgerliche Moral und Kultur. Die zehn Millionen Toten des Ersten Weltkrieges lehrten das Scheitern von Kultur und Moral.
Karl Barth war entsetzt. Und konnte den Glauben nur noch radikal anders denken: Es gibt einen unüberwindlichen Abstand zwischen Christentum und Kultur, Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf. Gott ist der »ganz Andere«. Nicht durch ausgeklügelte Theorien, nicht durch Frömmigkeit, nicht durch Kultur oder Moral – nur wenn Gott sich wie in Jesus Christus selbst offenbart, kann ihn der sündige Mensch erkennen. Viele Theologen folgten Barth. Denn der Krieg hatte monströs gezeigt, was geschieht, wenn Gott mit menschlichen Wünschen oder Ideologien verwechselt wird.
Am Grunde aller Katastrophen, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, fand der Theologe Paul Tillich jenen Abgrund, in den er schon in der Nacht in der Champagne geblickt hatte: »Den Abgrund der Sinnlosigkeit.« Ist dort unten Gott? Er erscheine dem Menschen oft erst dann, schrieb Tillich, wenn er bereits »in der Angst des Zweifels untergegangen ist«. Jene Kriegsnacht hatte es ihn gelehrt.
Als die Wolken des drohenden Weltkrieges im Juli vor genau 100 Jahren auch über Sachsen heraufzogen, bat der Leipziger Universitätsprediger und spätere Landesbischof Ludwig Ihmels vor den Studenten Gott um Frieden – und predigte doch: Wenn dieser Krieg kommt, ist er von Gott gewollt, tut eure Pflicht! Wie konnte es zu dem Massenschlachten des Ersten Weltkriegs kommen – und wie dazu, dass die Kirche ihn so sehr stützte? Die Predigten des Theologieprofessors Ludwig Ihmels in der Leipziger Universitätskirche zwischen 1914 und 1918 geben darauf eine Antwort. Sonntag-Redakteur Andreas Roth hat sie in der Sächsischen Landesbibliothek gefunden. Ein deutsches Drama und Zeugnis vom Versagen und Neubeginn der Kirche - Sie lesen es online hier im SONNTAG-Digital-Abo.
sorry "status quo ante"
@P.D.: Das ist schlimm. Doch es gab doch bei weiten keine Mehrheit, die für solche Parolen empfänglich waren, wie: „Wir stehen mit Gott in diesem Krieg als seine Diener, darum ist es ein Heiliger Krieg und deshalb für jeden ein Gottesdienst“. Das glaubten doch diese christlichen Würdeträger selbst nicht – Kriegspropaganda - was auch die meisten protestantischen Kirchenmitglieder erkannten. Was, wie ihre politische Theologie auch ein Grund war, warum vor allen Deutschland, zur intellektuellen Mitte des Atheismus und Sozialismus wurde.
@P.D.: Verstehe ich Sie richtig: 1914 folgten Theologie und Kirche der "nationalistischen und hurrapatriotischen Grundtendenz in der europäischen, insbesondere aber in der deutschen Gesellschaft"? 10 Jahre später waren sie völlig losgelöst und gänzlich unabhängig von der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Grundtendenz? Weitere 10 Jahre später folgten sie - nicht geschlossen aber zu großen Teilen - erneut der nationalsozialistischen und hurrapatriotischen Grundtendenz in der deutschen Gesellschaft? Heute dagegen wirken ev. Theologie und Kirche wieder völlig losgelöst und gänzlich unabhängig von der derzeitigen "Grundtendenz"?
Mit anderen Worten: Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ war ein Tribut an den Zeitgeist, während das „Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie der EKD“ davon gänzlich unbefleckt ist? Aber ich weiß schon, „derartige historische Vergleiche mit dem unvermeidlichen Rückschluss auf die heutigen Verhältnisse … sind schlichtweg unzulässig“. Irgendwie vermisse ich ein kräftiges „Jawoll“ am Ende Ihrer bestechenden Argumentation!
Das, was Clausewitz geschrieben hat, war eine Theorie und ist heute noch Material für Studienzwecke.
Das Prinzip, dass durch die militärische Maßnahme "Krieg" eine Verhandlungsposition erreicht werden soll, stimmt durchaus. Ich denke an manche Maßnahmen der USA, während der Verhandlungen mit Nord - Vietnam.
Es funktioniert aber nur dann, wenn alle beteiligten Mächte auch der Meinung sind, das der Punkt für sie schon erreicht ist, an dem Verhandlungen lohnen.
Als der Kaiser 1916 einen Frieden anbot, war für ihn die Situation so, dass es sich gelohnt hätte. Vielleicht auch für Frankreich, gewiss für Russland. Sicher nicht für Großbrittanien. Die Britten sahen sich nicht friedensbereit.
Wenn ich mir die Zeit damals ansehe, so stelle ich fest, dass Deutschland am wenigsten Grund hatte, diesen Krieg zu führen. Was an handfesten Zielen fehlte, ist da wohl auch durch Hurra - Patriotismus ersetzt worden.
So stand man eigentlich schon 16 mit dem Rücken an der Wand und hätte sich gefreut, alles wieder auf Null stellen zu können.
Gert Flessing
@Andreas Rau: Nein, Sie verstehen nicht richtig. Ich habe mich lediglich zu der konkreten Situation 1914-1918 und dann noch einmal 1918-1929 geäußert, mehr nicht. Ihre Aneinanderreihung völlig verschiedener historischer Sachverhalte mit einer gewissen Tendenz, um möglicherweise heutige Verhaltensmuster zu erklären, halte ich für falsch und nicht zulässig. Sie können da selbstverständlich anderer Auffassung sein. Die von Ihnen gestellten Fragen können Sie aus dem von mir Ausgeführten nicht ableiten, die unterstellten Aussagen habe ich so nie getroffen und werde Ihnen daher eine Antwort schuldig bleiben. Mit Ihren übrigen Anmerkungen kann ich nicht viel anfangen.
Lieber Herr Flessing,
ich denke, die Briten rechneten 1916 fest mit dem Kriegseintritt der USA, sie hatten ja gezielt darauf hin gearbeitet (Balfour-Erklärung etc.). Ein starker europäischer Festlandsrivale widersprach ihrer "Balance-of-Power"-Doktrin (nach der im Prinzip die Briten sich immer selbst als stärkste Macht in Europa sehen wollten). 1916 schienen ja, da stimme ich L.M. zu, tatsächlich die Mittelmächte die Oberhand zu haben.
Kriegsidealismus dient ausschließlich zur Mobilisierung der Massen, dahinter stecken immer handfeste wirtschaftliche und machtpolitische Interessen (von Leuten, deren Kinder niemal an der Front verbluten!). Deshalb nehme ich Gauck seine Kriegspropaganda sehr übel. Gestern kam ein Beitrag über zivile afghanische Opfer der Bundeswehr, der wieder zeigte, daß ein Krieg niemals "chirurgisch genau" geführt werden kann. Daher sehe ich nicht ein, was Einsätze in diesen Regionen der Welt mit unserer nationalen Sicherheit zu tun hätten. Leider, das sieht man ja auch immer wieder hier, lassen sich viel zu viele Leute die Sinne vernebeln, so daß sie die wahren Kriegsgründe als Verschwörungstheorie sehen und an die vorgeschobenen Lügen von "Demokratie und Menschenrechten" glauben. Die Beweise sieht jeder in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Ukraine... Jeder, der sehen WILL, selbstverständlich!
Illusionslose Grüße
Britta
Lieber Herr Rau,
ich finde Ihre Gedanken dazu sogar sehr zulässig. Auch zu jenen Zeiten war die Kirche gespalten und jeder dachte, das einzig wahre Christentum zu verkörpern. Diese Verzeitgeistigung der Kirche gab es zu jeder Zeit, manches ist geblieben, vieles hat sich als extremer Irrtum herausgestellt. Wie wird es mit unseren Problem(ch)en sein?
Liebe Grüße
Britta
Liebe Britta, Kriege lassen sich sehr selten miteinander vergleichen. Der Grund dafür liegt nicht so sehr in den Zielen, die damit verfolgt warden und die auch immer etwas mit Macht und Wirtschaft zu tun haben, sondern in den Möglichkeiten, die der Mensch nutzt, um den Krieg zu führen.
Zu Beginn des WWI ist man von einer Art des Krieges ausgegangen, die in ihrer taktischen und strategischen Theorie an den Krieg 1870 angelehnt war.
Es war ein Krieg der Armeen, der von Soldaten geführt und entweder gewonnen oder verloren wurde.
Diese Theorie war nur zum Teil richtig, sie krankte an einer mangelnden Einbeziehung der modernen technischen Methoden, die aber auf dem Schlachtfeld vorhanden waren.
Wie sie sich 70/71 abzeichneten, ließe sich verdeutlichen, führt hier aber nicht weiter.
WWII perfektionierte die technischen Methoden, brach aber bereits die Theorie des Kampfes von Armee gegen Armee auf. Im Partisanenkrieg deutete sich bereits das an, was unsere Theorie des Krieges bestimmt.
Wir erleben den Krieg nicht mehr als den von Armeen, die sich auf einem Schlachtfeld gegenüber stehen. Das gibt es nur noch in PC - Spielen.
Wir erleben den asymetrischen Krieg, in dem Soldaten verschiedener Armeen Kämpfern gegenüber stehen, die nicht regular sind und die auch nur bedingt als Kombattantenzu erkennen sind. Diese Form des Krieges unterliegt auch nicht mehr staatlicher Ordnungen und entzieht sich den Verpflichtungen der Kriegsnormen, die sich die zivilisierten Länder gegeben haben.
Eine Folge davon sind s.g. Kolateralschäden. Wenn die Kämpfer mit der Zivilbevölkerung verschmelzen können, wird im Fall des Kampfes die Zivilbevölkerung mit betroffen sein.
Die Bomben von Kunduz sind, militärisch gesehen, durchaus gerechtfertigt. Natürlich hätte Oberst Klein auch einen Bodenangriff ansetzen können, der vielleicht rechtzeitig erfolgt ware, um die bedrohung durch die gekaperten Tankfahrzeuge auszuschalten und der vermutlich die Zahl der zivilen Opfer verringert hätte.
Er stand aber vor der Frage, ob er den Verlust eigener Männer in Kauf nehmen muss, wenn ihm eine andere Option zur Verfügung steht.
Wie hätte hierzulande die Reaktion ausgesehen, wenn er einen Angriff seiner Soldaten befohlen hätte und drei oder vier gefallen wären?
DAS ist die militärische Sicht.
Ethisch und aus der Sicht der Nachfolge Jesu ist Krieg immer verwerflich. Immerhin sind wir ja aufgerufen, unsere Feinde zu lieben und dadurch Konflikte zu überwinden.
Wir leben freilich in einer sehr unerlösten Welt und die Menschen sind zumeist voller Gier und eher zum Unfireden bereit - einst und jetzt.
Gert Flessing
@L.S.: Für Ihre Aussage "Doch es gab doch bei weiten [sic] keine Mehrheit, die für solche Parolen empfänglich waren [sic]" haben Sie mit Sicherheit objektivere Belege als das Hörensagen und Quellen wie Ihren Opa. Wären Sie so freundlich, diese offen zu legen? Die würde ich doch gerne Prof. Münkler vorlegen wollen, weil der in seinem Werk "Der grosse Krieg. Die Welt 1914-1918" von 2013 und seinem Interview in "Christ und Welt" Nr.07/2014 penetrant Gegenteiliges behauptet. Die EKD in ihrer Materialsammlung zum Thema übrigens auch. So etwas muss doch richtiggestellt werden, nicht wahr? Danke im Voraus!
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