Lieber Herr Flessing,
natürlich verfügt das Militär i.d.R. über die modernste Technik und in jedem Krieg wird diese dann auch genutzt. So wie das Fliegen für Menschen vor 150 Jahren Unvorstellbar war, waren auch die Auswirkungen des Einsatzes der Technik in den letzten beiden WK unvorstellbar. Das ändert jedoch nichts an den Ursachen und Zielen von Kriegen: Vorherrschaft, Macht, Rohstoffe, Absatzmärkte... Besonders Banken und verflochtene Rüstungskonzerne verfügen regelmäßig über die entsprechende Lobby, ihr Geschäft florieren zu lassen. Der überbetonte Nationalismus oder irgendwelche weltanschaulichen Probleme sind (zumindest bei den überregionalen Auseinandersetzungen) nur für den Pöbel vorgeschoben, um diesen dazu zu bringen, mitzumachen und seine Kinder, sein Vermögen etc. einzusetzen. Und trotz intensiven Recherchieren sehe ich nicht ein, was wir in Afghanistan etc. verloren hätten. Ich spielte übrigens nicht auf die Sache mit Oberst Klein an - in der konkreten Situation konnte er gar nicht anders handeln, sondern allgemein. Zudem kann ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß die Zuschreibung von zivilen Todesopfern zwischen den Fronten zu Deutschland zumindest in einigen Fällen auch mit Asyl- bzw. Entschädigungsbegehren verknüpft ist, was bei den Taliban ja doch wohl auf taube Ohren stoßen würde. Trotz jahrzehntelangem Eingreifen des Westens ist im Nahen Osten nicht ein Land demokratischer oder menschenrechtsachtender geworden, im Gegenteil! Der Westen sollte sich endlich abgewöhnen, seine Vorstellungen und Normen der ganzen Welt aufdrängen zu wollen.
Im Übrigen: sehr interessant und aufschlußreich zur "Kriegsbegeisterung": die serie der Frontbriefe in der Freien Presse (ich besitze auch einen ganzen Stapel Originale, zudem ist mir gelungen, beide Teile des Mittweidaer Kriegstagebuches 1914/15 f zu erwerben).
Viele Grüße
Britta
Gott auf dem Schlachtfeld
Millionen Menschen starben im Ersten Weltkrieg – auch die Kirche rief zum Gemetzel. Danach war einigen Theologen klar: Gott ist ganz anders. Und selbst tief unten im Abgrund.Es war in der Schlacht um die Champagne, es war mitten im großen Sterben, als auch eine ganze Theologie tot im Schützengraben lag. »Es war in einer Nacht, in der viele meiner Freunde tödlich verletzt wurde, in der schmerzlichen Schlacht. Und ich musste mit ihnen reden und sie starben überall um mich herum.« Der alte Gelehrte mit dem schlohweisen Haar antwortet in einem sehr deutschen, sehr leisen Englisch, als ein amerikanischer Fernsehreporter den großen Theologen Paul Tillich (1886–1965) nach dem Wendepunkt in seinem Denken fragt.
Der Deutsche räuspert sich, stockt: »Ich habe die tiefste negative Seite des Lebens gesehen in dieser Nacht. Und meine Augen wurden für immer geöffnet.«
Tillich hatte sich zu Beginn des Weltkrieges 1914 freiwillig als Feldgeistlicher an die Westfront gemeldet, ein Jahr später brach für ihn alles zusammen, was er bis dahin gelernt hatte: all der Idealismus in Philosophie und Theologie, all der Glaube, dass alles immer besser werde und Gott mit dem Fortschritt Hand in Hand ginge. »Das vierjährige Erleben des Krieges riss den Abgrund für mich und meine ganze Generation so auf, dass er sich nie mehr schließen konnte«, schrieb Tillich später.
An diesem Abgrund musste sich für ihn künftig alles messen, was über Glaube und Gott gesagt wird. Tillich fand als Professor an der Technischen Universität Dresden und ab 1933 vor den Nazis nach Amerika geflohen radikale Antworten: Der gefeierte Theologe konnte sich Kirche nur noch als eine echte Begegnung mit den existentiellen Problemen der Menschen vorstellen, in der sich die Fragenden verändern und auch die Antwortenden, sogar Gott selbst. Als eine lebendige Beziehung zu Gott, mitten im Abgrund. Er kannte nach dem Schlachten keinen anderen Ort mehr dafür.
In einem Schweizer Industriedorf liest kurz nach Kriegsbeginn ein Landpfarrer das Manifest von 93 deutschen Elite-Gelehrten, die sich hinter des Kaisers Kriegspolitik stellen – und entdeckt mit Entsetzen darunter die Namen all seiner verehrten Theologieprofessoren wie Adolf von Harnack. »Ich habe eine arge Götterdämmerung erlebt«, schreibt der junge Schweizer Pfarrer: »Wie Religion und Wissenschaft restlos sich in geistige 42 cm Kanonen verwandelten. ... Ich wurde irre an der Lehre meiner sämtlichen Theologen in Deutschland.« Der Name des Pfarrers: Karl Barth (1886–1968).
Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zerbrach die liberale Theologie: Eine Theologie, die vom aufklärerischen Glauben an die Vernunft geprägt war, die im Fortschritt das Reich Gottes suchte. Die die Bibel so lange historisch-kritisch zerlegte, bis nicht viel mehr übrig blieb als bürgerliche Moral und Kultur. Die zehn Millionen Toten des Ersten Weltkrieges lehrten das Scheitern von Kultur und Moral.
Karl Barth war entsetzt. Und konnte den Glauben nur noch radikal anders denken: Es gibt einen unüberwindlichen Abstand zwischen Christentum und Kultur, Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf. Gott ist der »ganz Andere«. Nicht durch ausgeklügelte Theorien, nicht durch Frömmigkeit, nicht durch Kultur oder Moral – nur wenn Gott sich wie in Jesus Christus selbst offenbart, kann ihn der sündige Mensch erkennen. Viele Theologen folgten Barth. Denn der Krieg hatte monströs gezeigt, was geschieht, wenn Gott mit menschlichen Wünschen oder Ideologien verwechselt wird.
Am Grunde aller Katastrophen, die auf den Ersten Weltkrieg folgten, fand der Theologe Paul Tillich jenen Abgrund, in den er schon in der Nacht in der Champagne geblickt hatte: »Den Abgrund der Sinnlosigkeit.« Ist dort unten Gott? Er erscheine dem Menschen oft erst dann, schrieb Tillich, wenn er bereits »in der Angst des Zweifels untergegangen ist«. Jene Kriegsnacht hatte es ihn gelehrt.
Als die Wolken des drohenden Weltkrieges im Juli vor genau 100 Jahren auch über Sachsen heraufzogen, bat der Leipziger Universitätsprediger und spätere Landesbischof Ludwig Ihmels vor den Studenten Gott um Frieden – und predigte doch: Wenn dieser Krieg kommt, ist er von Gott gewollt, tut eure Pflicht! Wie konnte es zu dem Massenschlachten des Ersten Weltkriegs kommen – und wie dazu, dass die Kirche ihn so sehr stützte? Die Predigten des Theologieprofessors Ludwig Ihmels in der Leipziger Universitätskirche zwischen 1914 und 1918 geben darauf eine Antwort. Sonntag-Redakteur Andreas Roth hat sie in der Sächsischen Landesbibliothek gefunden. Ein deutsches Drama und Zeugnis vom Versagen und Neubeginn der Kirche - Sie lesen es online hier im SONNTAG-Digital-Abo.
P.S. Vielleicht ist ja Krieg auch etwas, was mit der biblischen Warnung vor dem Götzen Mammon mitgemeint ist?
@P.D.: In Ordnung, ein neuer Versuch. Sie hatten geschrieben: „Es ist wohl historisch nicht sehr korrekt, eine Verbindung zwischen der unseligen Kriegsbegeisterung weiter Kreise der evangelischen Theologen in den ersten Kriegsmonaten und vorgeblich "liberaler Theologie", historisch-kritischer Methode der biblischen Exegese und Einfluss aufklärerischer Ideen und Vorstellungen auf die Theologie herzustellen.“ Ich bin der Meinung, das genaue Gegenteil trifft zu. Denn diese Theologie stellt eine – wie auch immer geartete – subjektive, d. h. variable, Autorität (historisch) KRITISCH über die Bibel.
Im Ergebnis folgen Theologie und Kirche nicht mehr der Bibel sondern dieser variablen Autorität. Wodurch sie zwangsläufig anfällig werden für den Einfluß der jeweils aktuellen „Grundtendenz in der Gesellschaft“. Und dieser Einfluß wird dann sichtbar z. B. in nationalistischem Hurrapatriotismus, in diversen Instituten bzw. Studienzentren oder auch in Form einer „Bibel in (grundtendenz-)gerechter Sprache“.
Im Übrigen verstehe ich Sie sehr gut: Ein Geprächsprozeß ist nur dann ein guter Gesprächsprozeß, wenn nichts gesagt wird (zumindest zu den wirklich wichtigen Problemen).
@ P.D. Ich kann ihnen nicht helfen, ich habe das nur mündlich von meinen verstorbenen Opa. Es ist glaubwürdig, was den ländlichen Raum betrifft hatte ich in meiner Jugend von dortigen alten Leuten, Handwerker, Bauern es auch oft gehört. Man hatte solche Parolen selten geglaubt, daher waren sie auch für einen Pfarrer dort kein Thema. Man erzählte man hätte sogar Musterung-Ärzte bestochen um nicht 1914 (!) gezogen zu werden. Alle Studien die es hier zu gibt, gehen leider von den Kriegsbegeisterungsfotos 1914 der Presse aus und wie die lügt wissen wie wir ja, u.a. seit den Sturz von Wulf. Sie können doch recherchieren, z. B. hatten 34% der Wähler die SPD gewählt, die völlig antimilitaristisch war, auch wenn ihre Abgeordneten unter größtem Vorbehalt den Kriegskrediten nach der Mobilmachung Russland zu stimmen.
Lieber Herr Flessing, währe Deutschland 1914 nicht so enorm hochgerüstet, nicht so borniert geltungsbedürftig gewesen, wäre es doch nicht zum Krieg gekommen. Kriegsschuldzuweisungen an andere Länder sind daher von uns unangebracht, zudem wir ja einmarschierten. Dieser Krieg fand nicht auf deutschen Boden statt, wodurch unsere Bevölkerung, wie auch die politischen Kriegstreiber kaum unter Beschuss oder Kampfhandlungen zu leiden hatten. Vielleicht hatten daher so viele aus diesem Krieg nichts gelernt, so dass groteskeste Theorien (inklusive der marxistischen) zum Krieg in Deutschland höchst Beachtung erlangen konnten. Die Theorie, die jede Kriegsschuld Deutschlands leugnet verkündigten blindlings viele Pfarrer und waren die, die sich meist wenig Gedanken machten, sich von den Toten mahnen zu lassen. Von den zu Millionen gefallenen Soldaten und den zivilen Opfern besonders in den einmarschierten Ländern. Die in Ihrem Kriegswissen leider auch kaum Berücksichtigung finden
@L.S.: Lesen Sie mal nach, sogar in Wikipedia wird dargestellt, daß die Rüstung der Mittelmächte der Entente bei weitem nachstand! ("Am Vorabend des Krieges waren die Mittelmächte zahlenmäßig wie auch in der Wirtschaftsleistung und den Rüstungsausgaben deutlich unterlegen: 1914 konnten die Mittelmächte (einschließlich Türkei) eine Einwohnerzahl von 138 Millionen und 33 Millionen wehrfähige Männer aufweisen, die Entente (inklusive Kolonien) dagegen 708 Millionen Einwohner und 179 Millionen wehrfähige Männer. Die absoluten Rüstungsausgaben der Entente waren 1913 etwa doppelt so hoch wie jene der Mittelmächte. Deutschland verfügte zu Kriegsbeginn allerdings über mehr moderne schwere Artillerie als seine Gegner zusammen,[10] was vor allem im – allgemein nicht erwarteten – Grabenkrieg einen erheblichen Vorteil brachte. Die Infanteriebewaffnung war qualitativ (bezogen auf die Schussleistung) ausgeglichen, lediglich die britischen Truppen verfügten über ein überdurchschnittliches Infanteriegewehr. Auf dem Meer war die Entente und vor allem Großbritannien den Gegnern weit überlegen, sodass es zur Distanzblockade Deutschlands kommen konnte.") Und was denken Sie, warum Hindenburg als "Held von Tannenberg" so berühmt wurde? Es leugnet hier keiner die Kriegsschuld Deutschlands, aber die (aus wirtschaftlichen und machtpolitischen Erwägungen) aufgedrückte Alleinschuldthese D. zum 1. WK hat sich mittlerweile ziemllich allgemein und international anerkannt überholt! Oder hat sich das noch nicht bis zu Ihnen herumgesprochen?
@Andreas Rau: Mein Eingangskommentar bezog sich auf eine entsprechende Aussage im Artikel von Herrn Roth und ich hatte diese Aussage erläutert. Herr Roth hat sich hierzu bereits erklärt und deutlich gemacht, dass er es eher so sah, dass vor dem Kriege anerkannte Grundsätze der "liberalen" Theologie durch das Geschützfeuer des Weltkrieges pulverisiert wurden und ein Neudenken erfordert hätten. Dieses ist so zutreffend, ist in den von Herrn Roth angegebenen Quellen nachzulesen und allgemein anerkannt. Hier muss ich meine Meinung relativieren. Dessen ungeachtet ist meine Auffassung zu der Augusteuphorie 1914 ebenso richtig und durch alle verfügbaren historischen Quellen gedeckt. Mit der von Ihnen aufgezeigten Folgerung für die Entwicklungen bis heute kann ich absolut nichts anfangen. Würde ich Ihrer Logik folgen, müsste heutzutage, wo die HKM nach wie vor anerkannte und angewandte Methodik ist, Nationalismus und Kriegsbegeisterung die Folge sein. Ich stelle jedoch fest, dass dem nicht so ist. Da kann also irgendwie etwas nicht stimmen. Und bitte, wenn schon, dann lassen Sie uns doch beim Thema bleiben und das heißt Rolle der Kirche während des ersten Weltkrieges oder in den Jahren danach. Dort wo Sie hinwollen, werden Sie mich nicht hinbekommen.
@A.Rau: Habe ich Sie richtig verstanden? Ohne historisch-kritische Bibellektüre hätte es zu Beginn des 1. Weltkriegs den christlich unterlegten "nationalistischen Hurrapatriotismus" nicht gegeben? Wie soll ich denn dann die nationalistisch gefärbten Texte von bibeltreuen, wertkonservativen Theologen lesen? Der Pfarrer Martin Niemöller z.B. war U-Boot-Kommandant aus Überzeugung. Dass er einer "liberalen Theologie" anhing, konnte ich bisher jedenfalls nicht lesen.
Fragend
Johannes Lehnert
@P.D.; Johannes: Die ev. Kirche zeigt immer wieder eine starke Anfälligkeit für die „Grundtendenz in der Gesellschaft“ (kurz: Zeitgeist). Als Belege dafür nenne ich den oben beschriebenen „nationalistischen Hurrapatriotismus von vor 100 Jahren, das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ vor ca. 80 Jahren und heute das „Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie der EKD“ bzw. die „Bibel in gerechter Sprache“. Die Fragen lauten: Woher rührt diese Anfälligkeit? Und welche Rolle spielt die ev. Theologie in diesem Zusammenhang? Um Antworten auf diese Fragen zu finden bzw. die Anfälligkeit zu verringern, müsste man die Geschichte sachlich auswerten und Lehren daraus ziehen. Doch P.D. sieht den „nationalistischen Hurrapatriotismus“ als ein isoliertes Problem und weigert sich, die Parallelen zu heute auch nur in den Blick zu nehmen. Außerdem stellt er sich dumm. Und Johannes zeigt mit dem Finger auf andere. (Selbstverständlich haben „bibeltreue, wertkonservativen Theologen“ auch Fehler gemacht. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Niemöller dazu zählt.) Darüber hinaus gibt es noch ca. 1 Million weitere Methoden, von dieser Anfälligkeit abzulenken, sie schönzureden, Sündenböcke zu benennen usw. usw. Aber all das hilft unserer Kirche keinen Schritt weiter. Und so trottet sie in dem alten gewohnten Trott dem Zeitgeist hinterher und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie der „Grundtendenz in der Gesellschaft“ den nächsten Tempel errichtet und den nächsten und den nächsten …
@Andreas Rau: Es ging in dem Ausgangsartikel um die Entwicklung der theologischen Auffassungen im Verlauf des Weltkrieges. Das Thema finde ich spannend aus historischem Blickwinkel. Dazu hätte ich gerne weiterdiskutiert. Ihr Stellungskrieg - um einigermaßen im Thema zu bleiben - in garstigen Schützengräben zwischen Haldensleben und Dresden interessiert mich herzlich wenig. Den dürfen Sie mit denjenigen führen, die das mögen. Ich eigne mich dafür nicht und ich habe es auch nicht nötig, mir von Ihnen "Dummstellen" vorwerfen zu lassen, weil ich mich auf Ihr Spielchen nicht einlassen will. Also beenden wir unseren "Gedankenaustausch" hiermit.
Seiten
Impressionen vom Elbe-Tauffest
Impressionen vom Elbe-Kirchentag in Pirna
Impressionen Frühjahrssynode 2024
Festtag 100 Jahre Glaube + Heimat
Zum Vergrößern hier klicken.
Weitere Impressionen finden Sie hier.
Diskutieren Sie mit